Nun plötzlich durften wir die Autobahn verlassen. Wir machten uns auf den Weg nach Halberstadt, dort musste ein bekannter Dom stehen. Heute erscheint mir das als eine glückliche Fügung. Vom Himmel strahlte der schönste Sonnenschein, und jedes Auto, das uns entgegenkam (meist die bekannten Trabis oder Wartburgs), begrüßte uns mit der Lichthupe oder der Hupe. Man winkte sich gegenseitig zu, und es war eine Fahrt voller Freude. Wir fuhren wie auf Wolken durch dieses landschaftlich so schöne Land, das heute Sachsen-Anhalt heißt.
Da uns die Verkehrsschilder an diesem Tag noch sehr wenig sagten, wundere ich mich noch heute, wie wir nach Halberstadt gefunden haben. Aber wir waren tatsächlich auf dem richtigen Weg. Auf der heutigen Bundesstraße von Magdeburg nach Halberstadt wurden wir vor der Domstadt auf einem riesengroßen Parkplatz von zwei Männern in einem kleinen Wohnwagen begrüßt. Sie hatten ein Schild gemalt, auf dem in wunderschöner Schrift stand: 'Wir begrüßen die Bürger aus der BRD und laden zu einem kostenlosen Imbiß ein!'
Die beiden Männer waren Herr Rzeppa und sein Sohn aus Großalsleben, der – wie wir hörten – kleinsten 'Stadt der DDR'. Die Mutti Marlies war zu Hause geblieben, um das Heiligabendessen zu bereiten. Wir Männer aßen zusammen im Wohnwagen den leckersten selbstgebackenen Zuckerkuchen (nie hat er so gut geschmeckt wie damals, weder vorher noch jemals danach!). Wir alle waren uns sofort sympathisch und unterhielten uns über den Wahnsinn der Mauer und sangen ein Loblied auf Gorbi, der die Mauern hat überwinden helfen.
Zu Hause in Peine warteten dann meine Frau und die vier Töchter auf uns, sie wollten beinahe schon eine Vermisstenmeldung aufgeben.
Seit diesem 24. Dezember 1989 verbindet unsere Familien eine tiefe Freundschaft, es gibt keine Familienfeier, sei es Geburtstag, Hochzeitstag oder auch Kindergeburt, die wir nicht gemeinsam feiern. In diesen inzwischen fast zwanzig Jahren hat niemals der kleinste Ärger unsere herzliche Freundschaft getrübt."
Detlef Wilck (Peine)