Es war eine erstaunliche Situation. Die Offiziere der DDR-Grenztruppen kamen mit dem Auftrag, Vorbereitungen für die Einrichtung eines Straßengrenzüberganges zu treffen. Die genaue Plansituation und selbst die Befehlssituation war ihnen jedoch unklar. Von Stund an überschlugen sich die Ereignisse. Gegen Mittag erschien an der Grenzlinie auf der Ost-Seite die Vorsitzende des Rates des Kreises Saalfeld, Edith Ludwig (auch diese ohne genaue Anweisungen und Regelungen für die Grenzöffnung), auf der bayerischen Seite etwas später der Landrat Werner Schnappauf aus Kronach. In einer improvisierten Veranstaltung wurde die Öffnung des Grenzübergangs verabredet und begeistert gefeiert.
Die Grenzöffnung entwickelte eine unglaubliche Eigendynamik. Noch vor Mittag hatte sich auch in Probstzella herumgesprochen, dass die Grenze an der Straße aufgemacht werden solle. Zivilisten aus Ost und West, Bedienstete des Straßenbauamtes, sowie Pioniere der Grenztruppen (die sich allerdings der Grenze nicht zu sehr nähern durften) beräumten gemeinsam die Straße und beseitigten die Sperranlagen und den Streckmetallzaun. Am Nachmittag konnten Fußgänger bereits von Ost nach West die Grenze passieren, PKWs sollten am nächsten Morgen über die Grenze fahren können.
In vielen Grenzgemeinden wurden bereits in der Woche nach der ersten spektakulären Grenzöffnung am Falkenstein weitere Grenzübergänge gefordert, aber so schnell wie am 12. November ging es nirgends wieder.
In allen betroffenen Grenzorten diesseits und jenseits wurden rauschende und stimmungsvolle Volksfeste gefeiert. Die Bayern und die Thüringer waren glücklich, die wechselseitige Gastfreundschaft war unbeschreiblich. Für die Menschen an der schrecklichen Grenze war die Teilung über 40 Jahre eine vielfache Belastung, ständig spürbar. Das Ende wurde wie im Traum erlebt, die Freude war verständlicherweise hier noch größer als anderswo im Inland."
Manfred Wagner (Thurnau/Oberfranken)
Dieser Text ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Artikel: 'Das ging tief unter die Haut', erschienen in: Gerbergasse 18, IV/2004, S. 13-15