"Im Mai 1990 fuhren wir mit dem von mir geleiteten Ausstellungszug 'Der Zug der Unternehmens-Kommunikation' der Firma Mannesmann-Kienzle in die damals noch bestehende DDR nach Leipzig, Bayerischer Bahnhof. Zweck war die Präsentation von EDV-Systemen und -Branchenanwendungen. Die Entscheidung war damals sehr kurzfristig anlässlich der CeBIT in Hannover gefallen.
In der Nacht zum 16. Mai 1990 fuhren wir nach Leipzig, Bayerischer Bahnhof, blieben zwei Tage und fuhren am Abend des 17. Mai wieder in die Bundesrepublik. Was ich in diesen zwei Tagen an vielseitiger menschlicher Begegnung erlebte, bewegt mich bis heute: Verhaltene Ängste auf beiden Seiten (wird wohl alles gut gehen?), vorsichtiges Misstrauen (wie werden wir uns begegnen?), aber auch Freude und Freundschaft. Schon bei der Ankunft wurden wir mit einer großen Herzlichkeit empfangen. Die Bediensteten des Bayerischen Bahnhofs in Leipzig boten uns jede nur mögliche technische Hilfe an.
Viele Bedienstete der Reichsbahn, aber auch Besucher aus den umliegenden Wohnblocks wollten von uns Auskunft beispielsweise zum anstehenden Geldumtausch oder zur Rente. Fragen über Fragen, oft geprägt von Angst und Unsicherheit. Angst vor allem davor, ob der Arbeitsplatz erhalten bleibt. So gut wir konnten, versuchten wir, positive Antworten zu geben und Hoffnung zu vermitteln.
Der Ausstellungszug bestand aus vier Ausstellungswagen, voll mit EDV-Equipment, und einem Speisewagen, in dem Besuchern kostenlos Speisen und Getränke gereicht wurden. Für uns "Wessis" unfassbar, mit welcher Geduld und Disziplin hunderte von Besuchern auf den Einlass warteten. So einen Ausstellungszug hatten die Menschen in der DDR noch nicht gesehen und erlebt!
Heute gibt es den Bayerischen Bahnhof in Leipzig nicht mehr. Aber die Erinnerung an zwei schier unglaubliche und von vielen Erlebnissen geprägte Tage ist geblieben."
Manfred Zimmerer (Villingen-Schwenningen, geboren 1940)