"Wir waren Anfang November 1989 aus Dresden auf Klassenfahrt in Berlin. Der Morgen des 10. November stand sozusagen zur freien Verfügung. Etwas gelangweilt und ohne Ziel schlenderten wir zu viert auf der Straße Unter den Linden entlang. Da sprach uns ein älterer Mann an: Ob wir schon mal im Westen waren, er würde uns hinbringen. Wir dachten schon, er ist etwas 'verwirrt'. Er behauptete die Grenze sei heute Nacht geöffnet worden. Wir konnten nicht glauben, was wir gehört hatten. Wir hatten ja keine Ahnung von der Maueröffnung.
Der nette Mann brachte uns zur S-Bahn-Station Friedrichstraße, wo morgens um zehn die Hölle los war. Wir haben uns schnell angestellt und sind einer nach dem anderen durch die Kontrolle gegangen. Da war jeder alleine mit dem Grenzer, und dieser öffnete dann per Türöffner die Tür in den 'Westen'. Das war sehr komisch für mich. Ich dachte, vielleicht lassen sie die anderen nicht rein, oder wir kommen alle nicht mehr zurück – eine Falle? Schließlich wussten nicht mal unsere Eltern oder Klassenkameraden, wo wir sind.
Als dann alle vier da waren, sind wir in die S-Bahn und bis Bahnhof Zoo gefahren. Das hatte man irgendwie schon mal gehört. Dort eingetroffen sind wir den Menschenmassen hinterher gelaufen und dann schließlich an einem Wohnwagen angekommen, wo das Begrüßungsgeld ausgeteilt wurde. Die Schlange war sehr lang und wir mussten doch zu einer bestimmten Zeit wieder bei unserer Klasse sein. Aber die bereits Wartenden haben uns vorgelassen, so dass wir unser Geld bekamen und jeder ein pinkfarbenes Kreuz in den Personalausweis.
Nun schnell noch die paar Fotos gemacht und dann ab mit der S-Bahn zurück in den Osten, wo unsere Klasse völlig ahnungslos wartete. Am Abend wurde dann natürlich ordentlich gefeiert.
Es war einer der schönsten Tage in meinem Leben und ich werde ihn nie vergessen."
Anja Eulitz (Dresden)