"Ich studierte seinerzeit Fotodesign an der Fachhochschule Dortmund, 'Du musst Menschen fotografieren – geh nah heran!', hatte mich meine Professorin angestiftet. Nun wohnte ich vorübergehend in Berlin-Mitte und fuhr jeden Morgen um sechs Uhr früh zum Fernbahnhof Berlin-Lichtenberg, um dort zu fotografieren.
Nach dem Sturz des Ceauşescu-Regimes im Dezember 1989 hatte sich 1990 politisch auch in Rumänien einiges getan, und das wurde eben auch in Berlin auf dem Bahnhof Lichtenberg deutlich. Ab Mai waren jeden Tag hunderte neue Flüchtlinge aus Rumänien angekommen, und da es noch keine einheitlichen Regelungen in Ost und West gab, verblieben viele von ihnen vorerst, wo sie angekommen waren: auf dem Bahnhof Lichtenberg. Wie war die Situation dort? Das wollte ich dokumentieren und lernte dazu zunächst die Menschen kennen. Ich fotografierte, wenn sie mir Vertrauen entgegenbrachten. Dies geschah nach und nach. Ich arbeitete ausschließlich mit dem vorhandenen Licht, also ohne Blitz, und einem relativ empfindlichen Schwarzweißfilm.
Zu meinem Glück lernte ich einen sehr freundlichen Triebwagenführer kennen, der, immer wenn es nötig wurde, einen Ausweis für mich in die Höhe hielt. Dadurch kannten mich irgendwann auch die Volkspolizisten und ließen mich in Ruhe gewähren."
Kai-Annett Becker (Dortmund, geboren 1968)