"Am 3. Oktober 1990 setzte ich mich nach der Arbeit schnell ins Auto und fuhr mit sehr gemischten Gefühlen nach Berlin. Vor allem beschäftigte mich die Sorge vor einem neu aufkeimenden Nationalismus, die damals immer wieder auch in der ausländischen Presse thematisiert wurde. Wird ein wiedervereintes Deutschland überheblich? Aus diesem Blickwinkel betrachtete ich die Ereignisse. Schon in dieser Zeit kam die Angst auch vor einer zunehmenden rechtsradikalen Gewalt in Gesamtdeutschland in mir auf. Kann es einen gesunden Nationalismus in Deutschland geben, oder wird damit auch ein Wiedererstarken des Rechtsradikalismus einhergehen? Vorgefunden habe ich vor allem eine große Ernsthaftigkeit in vielen Gesichtern. Die euphorische Aufbruchstimmung war längst verflogen. Unsicher war ich, ob es Krawalle mit linken Gruppierungen geben könnte oder ob rechte Gruppierungen anreisen würden. Ich sah viele bewegte, aber auch in sich gekehrte und ernüchtert wirkende Menschen. Die angereisten Touristen aus aller Welt wirkten fast ausgelassener und fröhlicher. Und immer wieder wurde das Schlendern durch das Brandenburger Tor wie ein Ritual der Vergewisserung wiederholt."
Bernd Schmidt (Göttingen)